Artikel: Schneckenhof: Zeit (Wer hat an der Uhr gedreht?)[ Kolumne ]
23.04.2004  |   Klicks: 4096   |   Kommentare: 3   |   Autor: kroko
Schneckenhof: Zeit (Wer hat an der Uhr gedreht?)
Die neue Saison ist eröffnet. Schneckenhofzeit lässt ihr buntes Band. Sommernachtsmärchen Schneckenhoffete, Studentinnen und Studenten im Partywunderland. Das Kaninchen ist der Hausmeister. Hetzt mit der Uhr in der Hand über den Hof. Ruft „zu spät, zu spät, es ist schon eins“. Dreht der Musik den Saft ab und das unromantische Flutlicht an. Wunderland ist sogleich mehr keins.
Und so feierten sie selig bis an ihr Fetenende.

Da aber die Stunde Mitternacht und das Flutlicht zuschlägt, verwandeln sich hübsche Studentinnen zurück in graue Mäuse, das Bier in Abwaschwasser mit Spülschaum, und der vermeintliche Traumprinz erinnert mit seiner, durch den Alkohol geröteten Gesichtsfarbe an einen kolossalen Kürbis.

Denn - Danke Sommerzeit! - Schneckenhoffeten sind de facto um Mitternacht zu Ende. Auch wenn der Blick auf die vorgestellte Uhr uns vorgaukelt, es sei bereits eins.

Just dieser Party interruptus führt bei vielen studentischen Zeitgenossen, deren wissenschaftlicher Forschungsdrang sich bisher ausnahmslos auf das Bestehen von Klausuren und Seminararbeiten konzentrierte, zur bierseligen Grübelei, und dazu, sich mit Fragen unauslotbaren Tiefgangs zu beschäftigen:

Stimmt es, dass es sein muss, ist um ein Uhr wirklich Schluss?

Es gibt immer wieder Anwohner die sich beschweren und ihre Nachtruhe einfordern.
Sagt das Mannheimer Ordnungsamt, und fixiert das Partylimit bürokratisch in einem Wisch, den jeder anständige Fetenveranstalter während des gesamten Abends parat haben muss.
Falls uninformierte Uniformierte schon um halb zwölf vorbeischauen sollten, hat man dann was zum Vorzeigen: „Ja, wir dürfen. Sogar bis eins!“

Doch „was für Anwohner?“, fragt der beschwipste Partywütige und dreht sich dreimal um vierhundertfünfzig Grad , „ich sehe keine“.
Versuchen wir exemplarisch Anteilnahme zu wecken, indem wir der partygeplagten Ottilie-Normalanwohnerin ein Gesicht geben.
Rücksicht fordern, etwa für Ottilie Bräsike, wohnhaft L9,12, zweites Obergeschoss, dritte Klingel von unten (Vorname aus Datenschutzgründen geändert). Die Donnerstag nachts senkrecht im Bett steht und auch nach der zweiten Flasche Klosterfrau Melissengeist nicht zur Ruhe kommt, und so gar kein Verständnis dafür hat, wenn der DJ um Viertel zwo in der Frühe „nur noch drei kleine Liedchen“ spielen will.

Partyhengste in Hitze sind dessen ungeachtet nur schwer zu zähmen in ihrem Feier-Enthusiasmus. „Martha Bräsike! Schlafen kannst Du noch, wenn Du unter der Erde liegst. Komm rüber mit Deinen achtzig Jahren, schwing Dich und Deine Hüftprothese auf die Tanzfläche, wirbele Deine Stützstrümpfe wild um Dich! Wir stehen auf ältere Semester!“

Was aber setzen die Fetenveranstalter solch weltumkuschelnder Herzlichkeit entgegen?
Verplombte Bierhähne, abrupten Dancestop und dauernölende Nerv-Security.

Die angeblichen Beschwerden von Anwohnern sind wahrscheinlich nur Gräuelmärchen, die phlegmatische Fetenorganisatoren ihrem DJ erzählen, weil sie schon um fünf Uhr in den Federn liegen wollen, statt um sieben Uhr morgens, wenn die Sonne aufgeht, noch den Besen schwingen zu müssen.


Die in gewöhnlich gut befeierten Fetenkreisen postulierte Xanthippe-Theorie geht von anderen Prämissen aus.
Das Unhappyend um eins sei lediglich die Rache der Hausmeister an dem, in die Nacht hineinlebendem, Zeit totschlagendem Studentenpack.
So groß die Befriedigung, als Unstudierter den ganzen Akademikersäcken auf dem Stimmungshöhepunkt die Mucke abzuwürgen.
Dabei soll – Kernpunkt der These - die Pünktlichkeit, mit der auf den Schlusspunkt der Festivität beharrt wird, direkt proportional zum Ärger des diensthabenden Hausmeisters mit seiner Frau (Sinnbild Xanthippe) am Vorabend sein.

Einführung der Schneckenhofzeit

Des Ein-Uhr-Dilemmas Lösung liegt jedoch auf der Hand, besser am Handgelenk.

Der ultimative Orgienprofi stellt an Donnerstagen bereits zeitig, am besten am frühen Nachmittag, seine Armbanduhr um drei Stunden vor.
So ist ungestörtes Feiern ab 23 Uhr bis 4 Uhr garantiert.
Bitte nicht Weiterlesen, bevor dieser bahnbrechende Gedankengang nicht im eigenen Hirn angekommen ist. Die Uhr drei Stunden vorstellen: 23 Uhr bis 4 Uhr ...Macht’s Klick?

Und der Clou kommt erst noch.
Durch das Zurückstellen der Uhr am nächsten Morgen gewinnen man und frau zusätzlich drei weitere Stunden Schönheitsschlaf.
Schönheitsfehler dieser hippen Idee: Soweit sie nur einzelkämpferisch durchgeführt wird, gelten Teilnehmer dieser Maßnahme schnell als spinnert, total Banane und vom Haschmich gerappelt.
Wenn aber alle mitmachen, dann ist es plötzlich das Normalste der Welt. Auch wenn es objektiv gesehen totaler Schwachsinn ist. So wie bei der richtigen Sommerzeit eben.

Das frühe Ende der Unifeten sorgt vor allem im Sommer für großen Unmut, Winters ist die Aufregung viel kleiner.
Treue Kolumnenleser wissen warum: Auf sommerlich warmen Schneckenhoffeten erübrigt sich eine Garderobe, über deren Fehlen man sich ereifern könnte. Und in Mangel dieses Themas schreibt es sich am nächsten Morgen im schneckenhof.de-Forum um so vehementer gegen das „megabescheuerte um ein Uhr Schluss machen“.

Gigafrohes Feiern!

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„Schneckenhof: Zeit“ ist der erste Part in einer losen kleinen Reihe philosophischer Betrachtungen von ungeheuer geringer Tragweite über das uns bekannte Schneckenhofuniversum.

Dieser schönen Materie widmeten sich bekanntermaßen auch große Denker sehr ausführlich.
Man erinnere sich nur an das berühmte „Ich feiere, also bin ich“, von Descartes.
„Wenn man nicht mehr reden kann, muss man schwanken“ von Wittgenstein
oder „Die Party langeweilt die Langeweile“ von Heidegger.
„Ich weiß, was Zeit ist, aber so ich danach gefragt werde, ist es schon wieder eins und die Party zu Ende.“ stellt Augustinus mit Bedauern fest.

Und der große Fetenkritiker Reich-Ranicki zitiert Brecht:
„Ein Uhr. Wir stehen betroffen, die Fete aus und alle sind besoffen.“
 
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3 Kommentare zu diesem Artikel
23.04.04, 11:39 Uhr #1 von tobi
Um meinen Beitrag zu Deinen Weisheiten zu leisten:
"Der Klügere kippt nach"
Und passend zum Zeitthema:
"Der Tag ist 24 Stunden lang, aber unterschiedlich breit"
23.04.04, 13:44 Uhr #2 von SodaF
Solang der eigene Gang noch nicht breiter ist als der Weg, muss man noch nicht heimgehen!
23.04.04, 13:58 Uhr #3 von AgentMaulwurf
Nicht zu vergessen "Selbst das kleinste Pils vermag den Lauf des Schicksals zu verändern." aus Herr der Ringe oder "Nur der Schnecken-Hof-Schein trügt nie!" von
Oscar Wilde. In diesem Sinne "Was du trinkst, nimm ohne Stolz an, was du bezahlst, gib ohne Trauer auf." euer AgMa
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