Artikel: Hauptstadt-Impressionen[ Kolumne ]
21.03.2007  |   Klicks: 4866   |   Kommentare: 11   |   Autor: Sophisticated83
Hauptstadt-Impressionen
Berlin, so hat man mir gesagt, sei anders. Berlin sei alles, nur nicht normal. Hier trifft alles aufeinander, ganz gleich woher und mit welchem Gestern.
Mein Gestern ist Heidelberg und es wird auch bald wieder mein Morgen sein. Doch mein Heute ist die Hauptstadt.
Es pulsiert in Berlin, das pralle Leben trifft auf die provinzielle, auch wenn ich mich zuvor nie so gesehen habe, Kleinstadtbewohnerin.

Meine U2 ist nur ein paar Gehminuten entfernt, luxuriös für Berlin, denn Gehminuten sind hier anders zu messen als daheim. Schweigend sitze ich in diesem Schacht, immer wieder der Hinweis der freundlichen Dame aus den Lautsprechern, man soll die Kante zwischen Bahnsteig und Zug beachten. Aus dem OFF kommen die ersten Geräusche und plötzlich ist sie da, gelb und schon fast ein wenig vertraut - meine U-Bahn Richtung Pankow. Kaum eingestiegen kommen drei lustig wirkende Gestalten mit langen Rastas und etwas, naja nennen wir es alternativ, eigenwilligem Stil ins Abteil. Die Türen schließen und zugleich fangen sie an, ein Liedchen einzustimmen. Bei "Live is Live" hält es die Berliner schon noch auf den Sitzen, aber ich bin angetan von der morgendlichen Unterhaltung und motiviere durch einen Silberling. Damit muss man geizig sein in Berlin, das habe ich in den ersten Wochen gelernt, denn hier singen täglich - mehr oder minder gut - Leute in der U-Bahn. Alternativ kommt ein Verkäufer des Straßenfegers ins Abteil und sagt immer genau mit der gleichen mantra-ähnlichen Intonation warum er von Abteil zu Abteil zieht. Nach einer Woche konnte ich den Text auswendig.

In der Mittagspause laufe ich schnell zum Alex, pardon, zum Alexanderplatz. Für 1,99€ eine chinesische Nudelpfanne erster Güte, Berlin ist nicht teuer. Ich setze mich an den Brunnen und beobachte die Menschen, hier trifft wirklich so viel Gegensatz aufeinander, dass man auf Kino gänzlich verzichten kann. Die Lady im Pelz mit der Tüte aus dem Lafayette zwei Schritte entfernt von Schakkeline, die ihren Zögling Kewien gerade mit feinster Berliner Schnauze mitteilt: "Ick hab dir dette jesacht, mein Freund, jetzt is awwa Schluss, ick kann ooch andas..."
Ich gebe zu, ich habe mich ein wenig verliebt. Nie für möglich habe ich es gehalten, jenseits der allgemeinen Touristenattraktionen so viel Liebevolles zu finden. Oft ist der Blick fürs Detail notwendig - auch in dieser pulsierenden Stadt. Ich werfe meinen Plastikteller in den nächsten Mülleimer und beschließe heute abend nicht zur Berlinale zu gehen. Einmal Starluft schnuppern und Matt Damon an sich vorbeifahren zu sehen, ist genug.

Sonntags habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, ein wenig abzuschalten. Mit der Bahn fahre ich in eine Ecke Berlins und bewaffne mich mit einer Kamera - durch meine Linse die Hauptstadt entdecken.
Am Mauerpark trifft Ost auf West, pardon, traf Ost auf West. Jetzt trifft Flohmarkthändler auf Ossi und Wessi zugleich, jeden Sonntag.
Vorbei am Mauerpark mit seinem Bistro "Borderline" und der schönen Kastanienallee mit allerhand netten kleinen Labels und liebevollem Widerstand an Häuserwänden rein in die Welt der Reichen und Schönen.
Die Friedrichstraße, nur einen Steinwurf von meiner Wohnung entfernt, bietet alles, was die Mein-Haus-mein-Pferd-mein-Auto-Meute so braucht um zu überleben.
Die Gegensätze sind drastisch, aber auch bequem. Wie im Fernsehen kann man einfach umschalten, sobald einen etwas anekelt - je nach Geschmack, Berlin bietet Nischen.

Ich werde Berlin weiter entdecken - jeden Tag ein kleines Stück der großen Welt. Mit provinziellem Blickwinkel und dem nicht verschwinden wollenden Staunen auf den Lippen - bis mich das Morgen erreicht und ich zurückkehre in die kleine, heile Welt. Bis dahin verleibe icke mit Berliner Grüßen, wa...
 
Bewertung [1-5]: 3.7 Punkte [35 Stimmen]  
Nur registrierte und eingeloggte User können Artikel bewerten.

11 Kommentare zu diesem Artikel
21.03.07, 12:12 Uhr #1 von tasabego
interesting.
aber was ist mit frankfurt?
21.03.07, 12:15 Uhr #2 von Lolly80
Ach ja, ich will da auch wieder hin ... mal schauen ob das Auslandsamt der BA mal wieder hin fährt ...

Die Reichstagskuppel, Sachsenhausen und Holocuast Denkmal fehlen noch ...
Dieser Eintrag wurde 1 mal editiert, zuletzt 21.03.07, 12:15 Uhr
21.03.07, 12:33 Uhr #3 von Nicola


Du hast die guten Leute von der "motz" vergessen
Awa det haste schon echt juut jemacht

Genauso erleb ich Berlin... jedes Mal anders...grausam, verrückt und einzigartig schön.
21.03.07, 13:16 Uhr #4 von Ulle
sehr schön! berlin ist einfach der hammer
aber kleine kritik: vllt. ein wenig mehr ins detail, dann wärens 5 punkte geworden von mir, aber 4 sind ja auch gut

oh...berlin
22.03.07, 02:59 Uhr #5 von thorstilein
"Schakkeline, komm wech von die Regale, du Arsch!"
www.schakkeline.de

Ja Berlin muss schon toll sein, und ich musszu meiner Schande gestehen dass ich noch nie da war
Aber das wird auf jeden Fall noch nachgeholt, und so ein schöner Artikel motiviert
22.03.07, 08:35 Uhr #6 von darmstaedter_jung
Da bekomm ich richtig Lust, mal wieder in meine Geburtsstadt zu fahren
22.03.07, 10:03 Uhr #7 von konni
es ist wirklich genau so wie du geschrieben hast, sehr schön. 3 jahre berlin prägen einfach => ich will wieder zurück!!!
23.03.07, 11:35 Uhr #8 von stb
würde mich der allgemeinen resonanz anpassen... netter text
kleine anmerkung: beim thema mauerpark musste schmunzeln...geh dir den mal am 1.mai anschaun, dann bekommt dein ausdruck "...nur einen STEINWURF von meiner Wohnung entfernt.." einen ganz anderen sinn...
23.03.07, 14:26 Uhr #9 von Selbstfinder
Die Kastanienallee
24.03.07, 19:07 Uhr #10 von ddkAh
@kommentar Nr 6 dito. will auch wieder in meine Geburtsstadt.
Aber du hast das sehr schön zusammengefasst. Aber komisch, dass du nicht geschrieben hast, wer dich schon alles angemotzt hat. Oder ist dir das noch nicht passiert?
24.03.07, 22:16 Uhr #11 von Sophisticated83
nein, mich hat wirklich noch niemand angemotzt. die einzig komische situation war ein komischer kleiner inder, der mit mir gesprochen hat und sich später rausstellte, dass ich opfer der versteckten kamera geworden bin und der inder eigentlich jeanette biedermann war
Neue Artikel aus Kolumne
Aktuelle Artikel (alle Rubriken)