Ihn haben sie mir nicht so unsanft entrissen wie den mit kastanienbraunen Haaren, frisiert im Stil der 70er Jahre, lächelnden Kinderschokoladen-Jungen.
Er wurde wegrationalisiert - nein, schlimmer noch - eingetauscht gegen einen blonden, nichtssagenden Zwölfjährigen mit Gel in den Haaren und unförmig großen Zähnen, der jetzt auf meiner einstigen Lieblingsschokolade abgebildet ist.

Ich boykottiere seit diesem Zeitpunkt und kaufe nur noch die etwas größeren Riegel, mit der offiziellen Ausrede, dass dort die Milchkammern ohnehin größer sein - insgeheim muss ich mir aber eingestehen, dass ich Günther, so heißt besagter Junge von einst nämlich, sehr vermisse und nicht gegen Kevin eintauschen möchte.


Retro ist Kult geworden. Wie gerne möchte ich manchmal dem Unistress entfliehen und wieder bei Pausenzeichen auf den Schulhof rennen, mein Stickeralbum in der linken Hand, in der rechten die Capri-Sonne (damals konnte man den Strohhalm auch besser reinpicksen), um die neusten Stoffsticker gegen die zu tauschen, die im Dunklen leuchten. Danach noch eine Partie Gummitwist und die Welt war in Ordnung.

Unsere Generation scheint offen zu bekennen, dass es Dinge gibt, die damals, in den 80ern und frühen 90ern einfach besser waren und die wir gerne in unsere Welt mit besoffenen Elchen und fluchenden Weihnachtstassen als Jamba Spar Abo mitgenommen hätten.

Viele davon erleben gerade wieder ein Revival, zudem wir ihnen verholfen haben.
Der Ahoi-Brause-Junge winkt nicht nur von einigen T-Shirts freudig der Masse entgegen, sondern wird jetzt eben nicht mehr zur Butterstulle, sondern zum Wodka verzehrt.
Auch der Pustefix-Bär kann seine Renaissance zumindest auf dem ein oder anderen Kleidungsstück feiern, denn für Seifenblasenflüssigkeit ist noch kein Modegetränk erfunden worden.
Die Adidastrainingsjacke ist ohnehin ein Dauerbrenner geworden und auch die guten alten Vans gehören bekanntlich in jeden Schuhschrank.


Das gibt uns die Möglichkeit, uns ein wenig von dem zu erhalten, was verloren ging, als wir erwachsen werden mussten, obgleich wir es nicht immer werden wollten.

Ein wenig zurück erinnern an die Zeit, in der man sich Kassetten als Liebesbeweis geschenkt hat und stundenlang im Radio auf das Lied wartete, um es mitzuschneiden und dann immer noch Fetzen der Anmoderation oder im Refrain die Warnung vor einem Geisterfahrer auf der A5 auf dem Track hatte.

Ein wenig TKKG, Benjamin Blümchen, Pippi Langstrumpf, Hanni und Nanni und später auch die verruchte Seite in der Bravo mit den Selbstauslöserfotos steckt noch in uns.

Wir dürfen es zeigen und ausleben - beim Griff zum Zwieback-Jungen in der Brotabteilung - oder eben in unseren Gedanken - das “Ach, was waren das für schöne Zeiten”




Alles Liebe,
Eure Sophisticated83